Ich höre immer wieder von Klient:innen, wie sehr ihr innerer Kritiker sie im Griff hat. Und ich kenne diese Stimme auch – sie fühlt sich manchmal an wie ein Trainer, der selbst nie Sport gemacht hat. Einer, der gemütlich auf der Tribüne sitzt, fettige Pommes frisst, und dir während des Marathons ins Ohr brüllt: „Das sieht ja schrecklich aus! Wer hat dir beigebracht, so zu laufen?“
Und das Absurde ist: Man hört ihm zu. Mit dieser seltsamen Mischung aus Ehrfurcht und Panik, als würde seine Nörgelei tatsächlich irgendwie weiterhelfen. Motivation durch Demütigung – ein Klassiker.
Was ich häufig beobachte, ist, dass dieser innere Kritiker oft aus einer Mischung aus Perfektionismus, einem strengen Überich (danke, Freud 🤝) und einem nostalgisch verklärten Bild davon besteht, wie Disziplin sich angeblich anfühlen sollte. Als könnte ein miesepetriger Feldwebel tatsächlich für mehr Produktivität sorgen. Gleichzeitig ist da bei vielen diese leise Hoffnung, dass diese Stimme sie davor bewahren könnte, etwas falsch zu machen.
Aber das tut sie nicht. Sie analysiert nicht, sie kritisiert. Sie gibt keine brauchbaren Tipps, sie stänkert. Sie hält dir nicht die Hand, sondern haut dir einen Lineal-Klatscher auf die Finger, sobald du etwas Neues versuchst. Und sie meldet sich immer zu Wort – egal, ob man sie hören will oder nicht.
Selbstreflexion ist ja schön und gut. Ich liebe Selbstreflexion. Aber ohne Milde wird sie einfach zu einem endlosen Selbstverhör. Dieses ständige Durchforsten der Gedanken auf der Suche nach Fehlern. Manchmal frage ich mich, ob dabei wirklich jemals etwas Gutes rauskommt.
Und ja, vielleicht wäre es auch ein bisschen seltsam, wenn ich als Coach jetzt sagen würde: „Ignorier diese Stimme einfach.“ Selbstkritik gehört ja irgendwie dazu. Ich mag auch niemanden, der morgens aufwacht und sich selbst Standing Ovations gönnt, nur weil er seine Hose gefunden hat. Menschen, die einfach alles an sich super finden, finde ich ehrlich gesagt genauso irritierend.
Aber vielleicht geht es auch gar nicht darum, diesen Kritiker zum Schweigen zu bringen. Vielleicht geht es darum, ihn nicht ständig um Rat zu fragen. Ihn da sein zu lassen, ohne ihm gleich das Rederecht zu entziehen oder ihm einen Ehrenplatz zu geben.
Ich lade Klient:innen manchmal ein, ihren inneren Kritiker mit ins Coaching zu bringen. „Setzen Sie ihn auf den Besucher:innenstuhl. Geben Sie ihm Kekse. Und dann hören Sie einfach zu, ohne sofort zurückzubrüllen.“
Das eigentliche Problem ist ja nicht, dass dieser Kritiker da ist. Sondern, dass wir ihn immer wieder als unfehlbaren Experten behandeln. Dabei ist er oft nichts weiter als ein übermotivierter, schlecht informierter Besserwisser mit nostalgisch verklärten Ansichten. Und vielleicht reicht es tatsächlich, ihn einfach da sitzen zu lassen. Mit seinen Keksen. Während wir unseren Weg weitergehen.