Der Moment, wenn du merkst, dass du der „schwierige“ Kollege bist.

Kristin Kirchhoff

Kristin Kirchhoff

14.03.2025

Er sitzt mir gegenüber, die Arme verschränkt, ein Hauch von genervter Überlegenheit im Blick. „Ich weiß einfach nicht, wie man mit diesen Leuten arbeiten soll.“

Ich nicke. Das höre ich oft.

„Niemand hält sich an Absprachen. Meetings sind eine Katastrophe. Ich bin der Einzige, der mitdenkt.“

Ich warte.

„Manchmal frage ich mich, ob ich einfach zu hohe Ansprüche habe.“

Da ist sie, die Tür. Einen Spalt offen. Ich trete vorsichtig hinein.

„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass nicht die anderen das Problem sind, sondern Sie?“

Stille. Ein Zucken in den Mundwinkeln, als würde er gleich lachen. Aber das Lachen bleibt aus.

„Wie meinen Sie das?“ Die Stimme klingt eine Spur zu ruhig.

„Vielleicht halten sich die anderen nicht an Absprachen, weil sie wissen, dass Sie eh alles kontrollieren? Vielleicht wirken Meetings chaotisch, weil sich keiner traut, Ihnen zu widersprechen? Oder vielleicht haben die anderen längst aufgehört, mitzudenken, weil Sie es immer besser wissen?“

Sein Blick ist scharf. Dann, nach einer zu langen Pause: „Interessanter Gedanke.“

Ich lehne mich zurück. „Fühlt sich beschissen an, oder?“

Er lacht kurz auf, aber diesmal echter. „Ja. Ein bisschen.“

Dann wird er still. Ich sehe, wie der Gedanke einsinkt. Dass seine Ungeduld, sein Perfektionismus, seine Genervtheit nicht einfach Reaktionen auf die anderen waren – sondern das, was möglicherweise alles erstickte. Dass es nicht darum ging, dass sie alle unfähig waren, sondern dass er nie Raum gelassen hatte, es anders zu machen als er selbst.

Nach einer Weile fragt er: „Und was mache ich jetzt damit?“

Ich hebe die Schultern. „Was glauben Sie denn?“

Er überlegt. Lange. Dann: „Vielleicht… muss ich einfach mal ausprobieren, was passiert, wenn ich nicht sofort korrigiere. Wenn ich weniger verbessere und mehr frage. Wenn ich nicht immer der vermeintlich Kluge im Raum bin.“

Ich nicke.

Er atmet aus. Länger, als es nötig wäre. Dann lehnt er sich zurück. Nicht viel, aber genug, um zu zeigen, dass da gerade etwas durchgerutscht ist, an seinem Perfektionismus vorbei, direkt ins Mark.

Und genau da setzt die eigentliche Erkenntnis an: Wir denken immer, dass es unser hoher Anspruch ist, der uns ausmacht. Dass es unser Perfektionismus ist, der uns erfolgreich macht. Dass wir gebraucht werden, weil wir die Dinge „richtig“ machen. Aber oft ist es genau dieser Anspruch, der uns im Weg steht. Weil wir damit nicht nur die Kontrolle über Dinge übernehmen – sondern auch über Menschen.

Perfektionismus kann leicht zur Bremse werden. Nicht, weil er falsch ist. Sondern weil er den Raum für andere oft unbeabsichtigt kleiner macht.

Provokation im Coaching ist kein Selbstzweck. Sie ist eine Abkürzung. Ein Weg, das Ego zu umgehen, die Schutzmechanismen zu durchbrechen. Freundlich formulierte Hinweise prallen oft ab. Aber ein Satz, der piekst, bleibt hängen.

Denn Schmerz bedeutet nicht immer, dass etwas kaputtgeht. Manchmal ist es nur das starre Bild von uns selbst, das endlich bricht.

Er nickt langsam. Dann schnaubt er leise. „Verdammt. Ich bin der Typ, über den ich mich immer beschwere.“

Ich lächle.

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