Manchmal kippt eine Struktur, die lange stabil wirkte. Von außen erscheint es überraschend, fast unverständlich. Doch je genauer man hinsieht, desto unausweichlicher wirkt der Zusammenbruch. Seit Monaten begleite ich eine Organisation, die genau diese Erfahrung macht.
Ein strategischer Wechsel, interne Machtverschiebungen, unausgesprochene Konflikte – und plötzlich verliert ein System seine Balance, das lange als belastbar galt.
Was dann passiert, folgt einem vertrauten Muster: Schuldige werden gesucht, Führungswechsel organisiert, Narrative neu geschrieben. Man spricht von „Neuanfang“, von „kultureller Erneuerung“ – als ließe sich die Komplexität einer Organisation einfach beseitigen.
Doch was hier sichtbar wird, ist kein individuelles Versagen. Es ist der Ausdruck eines tief verwurzelten Reflexes: Organisationen entwickeln zwangsläufig Strategien, um Komplexität zu begrenzen und handlungsfähig zu bleiben. In Krisen aber wird genau dieser Reflex zur Gefahr. Denn wer Mehrdeutigkeit ausblendet, verliert Wahrnehmungstiefe – und damit die Fähigkeit, sich an eine veränderte Welt anzupassen.
In der Arbeit mit der Organisation wird spürbar: Die Sehnsucht nach Klarheit ist kein Managementfehler. Sie ist eine zutiefst menschliche Reaktion auf Überforderung. Ambivalenz zu halten, ohne sie vorschnell aufzulösen, fühlt sich an wie Kontrollverlust. Und genau deshalb ist es so schwer – und so entscheidend.
Beratung bedeutet für mich in solchen Momenten nicht, bessere Antworten zu liefern. Sondern bessere Fragen zu stellen.
Nicht, die Unsicherheit aus dem Raum zu nehmen. Sondern sie sichtbar und verhandelbar zu machen.
Nicht, schnelle Ordnungen zu entwerfen. Sondern die Fähigkeit zu stärken, Widersprüche auszuhalten – weil genau darin die Kraft liegt, als Organisation beweglich, anpassungsfähig und zukunftsfähig zu bleiben.
Eindeutigkeit beruhigt. Aber sie löst nichts.
Widersprüche verschwinden nicht, nur weil wir sie ignorieren.
Sie bleiben.