Manchmal stolpert man in einem Podcast über einen Satz, der so beiläufig daherkommt, dass man fast zu spät merkt, wie er ins Herz trifft. So ging es mir, als Philip Siefer im Gespräch mit Matze Hielscher im Podcast Hotel Matze sagte: „Du fängst nicht an mit Verletzlichkeit – und kannst Verletzlichkeit.“ Einfach so, ganz nebenbei. Dabei hätte dieser Satz locker einen eigenen Jingle verdient. Denn darin steckt eine Wahrheit, die ebenso schlicht wie tief ist: Verletzlichkeit ist kein Zustand, kein Talent, das man beherrscht, sondern ein Weg, den man immer wieder mutig betritt.
Wir alle sehnen uns danach, gesehen zu werden. Wirklich. Nicht bloß angeguckt auf unsere vermeintlich glänzende Oberfläche, sondern unser wahres Ich – die zarte, ungeschützte Stelle unter der Rüstung. Doch das Paradoxe ist: Verletzlichkeit macht uns sichtbar und gleichzeitig ängstlich.
Man könnte glauben, Verletzlichkeit sei etwas, das man kann – wie Klavier spielen oder Fremdsprachen lernen. Doch es ist viel eher eine Erfahrung, ein tägliches Experiment mit offenem Ausgang. Es beginnt nicht mit dem fertigen Mut, sich zu zeigen. Es beginnt mit dem Zittern der Knie und der Scham, die man überwinden muss. Niemand kann Verletzlichkeit. Man tut sie. Und das nicht einmal, sondern immer wieder.
Vielleicht sind wir so lange mit Mauern herumgelaufen, dass wir glauben, sie seien Teil von uns. Wir denken: „Wenn ich mich zeige, werde ich verletzt. Ich kann das nicht riskieren.“ Aber jedes vermeintlich „schwache“ Geständnis – „Ich brauche dich“, „Ich fühle mich einsam“, „Das hat mich verletzt“ – ist in Wahrheit der stärkste Ausdruck von Selbstachtung. Denn man zeigt der Welt: „Hier bin ich. Mit all meinen Wunden. Und ich riskiere es trotzdem.“
Verletzlichkeit ist der Moment, in dem wir unsere Wahrheit aussprechen, ohne uns an den Erwartungen anderer zu messen. Es ist nicht die Anerkennung, die uns heilt, sondern der Mut, uns ohne sie zu zeigen – einfach weil wir echt sein wollen.
Wer heute verletzlich ist, tut es vielleicht zum ersten Mal – oder wieder einmal. Es ist kein einmal erklommenes Ziel, sondern ein ewiges Wachsen, ein bewusstes Fallenlassen der Panzer. Jedes Mal, wenn wir es wagen, ohne Maske zu sein, wachsen wir ein Stück näher an uns selbst heran. Denn im Mut zur Verletzlichkeit liegt die tiefste Form von Freiheit: nicht mehr verstecken zu müssen, wer wir sind.
Und vielleicht werden wir ab und zu verletzt. Vielleicht fallen wir. Doch nur, wer wagt, sich zu zeigen, kann auch gehalten werden. Nur, wer offen ist, kann wahrhaft geliebt werden. Denn Liebe, das wissen wir, findet man nicht hinter Mauern. Sie wohnt dort, wo wir unser Herz entblößen und sagen: „Das bin ich.“