Wer Macht besitzt, kennt Einfluss, Entscheidungsgewalt und Verantwortung, aber oft auch Einsamkeit und Selbstüberschätzung. In meiner Beratungspraxis erlebe ich, dass die Grenze zwischen selbstbewusstem Führen und Arroganz oft fließend ist. Ein entscheidendes Merkmal echter Führungsstärke ist deshalb Demut.
Demut klingt im Business-Kontext zunächst irritierend, fast nach Schwäche. Gemeint ist jedoch keine Unterwürfigkeit, sondern eine realistische Selbsteinschätzung und Offenheit, die eigene Perspektive kritisch zu hinterfragen. Demut heißt, Zweifel zuzulassen, Fehler einzugestehen und Kritik aktiv zu suchen.
Jim Collins beschreibt in „Good to Great“ sogenannte „Level-5-Führungskräfte“, deren Erfolg auf der Kombination persönlicher Bescheidenheit mit professioneller Entschlossenheit beruht. Fehlt diese Haltung, droht Machtmissbrauch: Entscheidungen werden nicht mehr hinterfragt, Mitarbeitende verstummen, Konflikte bleiben ungelöst.
In meiner Praxis sehe ich regelmäßig, wie Führungskräfte unterschätzen, wie stark ihre Haltung das Teamklima prägt. Gerade in höheren Positionen wird ehrliches Feedback immer seltener. Hier wird Demut zur entscheidenden Kompetenz.
Demut heißt, sich bewusst zu machen, dass Macht geliehen und zeitlich begrenzt ist. Sie ist keine persönliche Eigenschaft, sondern eine Rolle, die verantwortungsvoll ausgefüllt werden muss. Demut bewahrt Führungskräfte davor, ihre Rolle mit ihrer Persönlichkeit zu verwechseln und toxische Muster zu entwickeln.
Demut ist keine Methode, sondern eine Haltung, die ernsthafte Selbstreflexion und die Bereitschaft zu kritischem Feedback voraussetzt. Das ist nicht immer angenehm, aber entscheidend.
Denn wer führen will, braucht mehr als Macht. Demut gehört unbedingt dazu, nicht weil es schön klingt, sondern weil es in der Praxis den entscheidenden Unterschied macht.




