Macht, Muster und die Illusion von Harmonie.
In Organisationen gibt es immer Regeln – auch dort, wo niemand sie formuliert hat. Sie sind unsichtbar, und doch spürst du sie. Sie legen fest, wer spricht und wer schweigt, welche Ideen „realistisch“ sind und welche als „zu radikal“ abgewürgt werden. Sie bestimmen, wer Risiken eingehen darf und wer besser nichts falsch macht.
Das Problem: Diese Regeln wurden nie verhandelt. Sie haben sich eingeschlichen – in Meetings, in Entscheidungsprozessen, in Gesprächen am Kaffeeautomaten. Genau das macht sie so mächtig. Denn was unsichtbar bleibt, kann nicht hinterfragt werden.
In meiner Arbeit sehe ich das ständig. Die Chefin sagt: „Wir wollen eine offene Feedback-Kultur!“ Doch niemand wagt es, ihre Entscheidungen zu hinterfragen. Ein Teammitglied betont: „Bei uns gibt es keine Hierarchien!“ Aber in der Praxis entscheidet immer dieselbe Person. Oder die Regel: „Wir sind hier wie eine Familie“ – was oft heißt: Überlastung ist okay, Kritik jedoch nicht.
Diese Regeln geben Sicherheit. Sie fühlen sich „vertraut“ an. Aber genau das bringt Stillstand. Unsichtbare Regeln verhindern Innovation und blockieren echte Zusammenarbeit. Sie entlasten uns: Solange „die Kultur“ schuld ist, müssen wir uns selbst nicht verändern.
Der erste Schritt ist, diese Regeln sichtbar zu machen. Das bedeutet nicht, alles auf den Kopf zu stellen. Es bedeutet, mutige Fragen zu stellen: Warum sprechen in Meetings immer dieselben? Warum werden Fehler totgeschwiegen, obwohl wir uns als „lernende Organisation“ bezeichnen? Warum reden wir von „Agilität“, während Entscheidungen weiter top-down getroffen werden?
Es ist unbequem, Regeln zu hinterfragen. Es stört die vermeintliche Harmonie. Doch genau das braucht es für Veränderung. Wenn Teams beginnen, sich mit ihren unausgesprochenen Gesetzen auseinanderzusetzen, entsteht Freiheit – nicht die Freiheit, Regeln abzuschaffen, sondern sie bewusst zu gestalten.
Denn Organisationen scheitern selten an fehlender Strategie. Sie scheitern an Regeln, die niemand je infrage gestellt hat.